Manifest
der indischen TeilnehmerInnen

Die Welt ist in eine Phase von immer schnelleren und unvorhersehbaren Veränderungen eingetreten. Zahlreiche Zeichen deuten darauf hin, daß die aktuelle Sozial- und Wirtschaftsordnung nicht funktioniert: Die Zahl der Menschen, die ihre elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigen können, wächst unaufhörlich, während sich der Reichtum der Welt in immer weniger Händen konzentriert; schwere finanzielle Krisen erschüttern ganze Regionen, die Umweltzerstörung beraubt ganze Gemeinschaften ihrer Lebensgrundlagen, die Polarisierung der Gesellschaft verschärft Spannungen und Konflikte auf dem ganzen Planeten. Diese Zustände bewirken nicht nur Verarmung und Zerstörung.

Sie geben den Menschen auch eine einzigartige Chance, ihre Zukunft wieder zurückzuerobern, ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen und den Institutionen, die das selbstzerstörerische System der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht tragen, Ungehorsam zu leisten, um eine andere Welt zu schaffen. Eine Welt, in der die lokalen Gemeinschaften die Kontrolle über die lokale Wirtschaft haben. Eine Welt, in der die Zentralisierung von wirtschaftlicher und politischer Macht verschwindet, Wirtschaftswachstum und Konsum einer neuen gesellschaftlichen Perspektive Platz machen, die auf Lebensqualität, Gleichheit und Gerechtigkeit beruht. Eine Welt, in der Militarismus und Unterdrückung nur noch eine schlechte Erinnerung sein werden.

Natürlich kann es sich hier nicht um ein sofort realisierbares politisches Programm handeln. Vielmehr ist es eine Vision auf lange Zeit, eine Perspektive für unsere Gesellschaft. Ausführlicher formuliert ist diese Vision im Manifest der «Peoples' Global Action gegen den 'Frei'- Handel und die WTO (PGA)», einem interna- tionalen Netz aus Basisbewegungen, das sich im Februar 1998 in Genf gegründet hat. Es ist sicher auch keine neue Vision. Sie hat immer existiert und gab denen Kraft und Inspiration, die mit ihren Kämpfen zu den größten Fortschritten der Menschheit beitrugen. Leider wagen heute nur wenige Leute zu glauben, daß sie sich am Aufbau einer besseren Welt beteiligen können. Das ist vor allem im Norden der Fall, wo eine Mehrheit der Bevölkerung passiv die zynische Behauptung akzeptiert, daß es keine Alternative gebe zum destruktiven System der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Weltordnung. Dadurch verleugnen sie aber auch ihr eigenes Potential, ihre Rechte zu verteidigen und über ihre eigene Zukunft zu entscheiden.

Wir sind überzeugt, daß eine grundsätzliche Umwandlung nicht nur eine ethische Pflicht und ein realisierbares Projekt, sondern auch eine dringende Notwendigkeit ist. Angesichts der Lebensunfähigkeit des aktuellen wirt- schaftlichen Systems und der Labilität der politischen und sozialen Ordnung muß sehr bald ein radikaler Wechsel stattfinden. Die nächsten Jahrzehnte werden eine sich schnell verändernde Welt erleben, aber die Richtung des Wandels ist noch nicht festgelegt. Wenn wir uns nicht aktiv an der Gestaltung der Zukunft beteiligen, könnte das Resultat des Wandels schlimmer sein als das aktuelle System. Eine ähnliche Krise hatte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts schon den Durchbruch von totalitären und rassistischen Regimes zur Folge. Es ist an uns, zu verhindern, daß dies erneut geschieht – der Status quo wird das Gespenst des Faschismus nicht vertreiben, es wird durch ihn im Gegenteil eher gestärkt.

In vielen Ländern des Südens ist ein großer Teil der Bevölkerung von der Notwendigkeit eines radikalen Wandels der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung überzeugt, was in den Ländern des Nordens nicht der Fall zu sein scheint. Für uns ist klar, daß dieser Wandel ein partnerschaftlicher Prozeß ist, der durch die Menschen und nicht durch die Institutionen in Gang gebracht und kontrolliert werden muß. Wir wissen, daß eine Veränderung in unserem Sinn nicht von den Zentren der Macht ausgehen wird, nicht von internatio- nalen Institutionen, nicht von den nationalen Regierungen und nicht von multinationalen Konzernen, denn ihre Macht ist ein zentraler Teil des Problems.

Eine Veränderung hin zu einer gerechten Welt kann nicht mehr auf lokaler oder nationaler Ebene realisiert werden, da wir in einer globalen Welt leben. Niemand kommt an dieser Realität vorbei. Deshalb hängt es von der Mobilisierung und dem Bewußtsein einer breiten nördlichen Öffentlichkeit ab, wenn unsere Kämpfe im Süden eine Aussicht auf Erfolg haben sollen.

Wir kommen nach Europa, um dieses politische Bewußtsein den Menschen im Norden näher zu bringen. Wir kommen, um mit Leuten auf der Straße zu sprechen und mit Männern und Frauen Kontakt aufzunehmen, die genauso wie wir von der weltweiten Mißordnung betroffen sind. Wir kommen, um zu einem neuen politischen Raum beizutragen, der einen Wandel in Europa herbeiführen kann. Wir hoffen auch, daß wir unsere Verbin- dungen zu den europäischen Menschen stärken können, die dieselben Ideale vertreten wie wir und wollen vielleicht sogar helfen, Kontakte unter ihnen zu knüpfen. Dies verstehen wir als einen Schritt hin zu neuen und effizienteren Formen der Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Menschen in diesem gemeinsamen Kampf.

Die vorrangigen Fragen, auf die wir die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit richten und für die wir eine Veränderung anstreben möchten, sind die folgenden: Das wichtigste Anliegen unserer Tour ist es also, die Kommunikation mit der gesamten Bevölkerung Europas zu stärken, insbesondere mit Organisationen und AktivistInnen. Wir werden auch an direkten Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die Zentren der Macht, gegen die multinationalen Konzerne, die internationalen Institutionen und die Regierungen teilnehmen. Doch betrachten wir diese Aktionen nur als ein weiteres Werkzeug der Kommunikation – ein besonderes Werkzeug, da wir der Überzeugung sind, daß nur ziviler Ungehorsam und direkte, gewaltlose Aktionen die fundamentale Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse unterstützen können, die wir anstreben.




a) Die Globalisierung, mit besonderem Gewicht auf den «freien» Handel und die wirtschaftliche Globalisierung.

In den letzten Jahrzehnten haben die meisten Regierungen der Welt Strategien zur Liberalisierung des Markts angewandt (oft unter dem Druck von internationalen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank), die verheerende Probleme auf der ganzen Welt geschaffen haben. Die Rücksichtslosigkeit des Weltmarkts erreicht mehr und mehr auch die Länder des Nordens. Die Abhängigkeit vom globalen Markt äußert sich darin, daß die lokale und nationale Politik nur auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit konzentriert ist, zum Schaden anderer Gebote, wie Gerechtigkeit, Menschenrechte, Sozialpolitik, Umwelt, Arbeitsbedingungen, etc… Heute wiegen die Einnahmen der 358 Milliardäre die Einnahmen von 2,3 Milliarden Menschen (45 Prozent der Weltbevölkerung) auf! Die neoliberalen Strategien, die hinter dieser Entwicklung stehen, wurden während der Uruguay-Runde des GATT (der Vorläuferorganisation der WTO) kodifiziert und eingebunden im internationalen Recht.Um zu garantieren, daß ihre Regeln eingehalten werden, hat sich die WTO die Option offen gelassen, Länder zu bestrafen, die ihre Regeln mißachten und sich dem dominanten System entziehen.

Das globale Herrschaftssystem wird durch die Regierungen der G8-Länder (The Great 7: USA, Canada, Japan, Frankreich, England, Italien, Deutschland, neu dazu kommt Rußland) angeleitet. Dieser Klub der einflußreichsten Industrieländer wird sich im Juni 1999 in Köln treffen. Dieses Rendez-vous wird die letzte Etappe unseres europäischen Besuches sein. Im November 1999 wird die WTO ihre dritte Ministerkonferenz in Washington durchführen. Es ist gut möglich, daß diese Konferenz eine neue Serie von Verhandlungen auslöst, die den Einfluß des WTO-Systems noch vergrößert. Die neue Verhandlungsrunde bezweckt unter anderem eine noch größere Liberalisierung des Handels, auch in Bezug auf landwirtschaftliche Produkte. (Die Auswirkungen dieser Liberalisierung haben sich bereits in Selbstmorden von Hunderten von Bauernfamilien in Indien und anderen Ländern niedergeschlagen, da sie ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden.) Weiter sollen diese Verhandlungen den multinationalen Konzernen zu neuen Patenten auf das Leben verhelfen und dazu, daß sie in allen Ländern der Welt uneingeschränkt investieren dürfen, wie es im Multilateralen Investitionsabkommen (MAI) festgehalten wird.

Die Länder des Südens sind relativ gut über diese Hintergründe informiert; in Europa scheint ein großer Teil der Bevölkerung die Fakten zu ignorieren, obwohl die nördlichen Länder davon ebenso betroffen sind (wenn auch momentan in geringerem Maß) wie die Länder des Südens. Durch unsere Anwesenheit wollen wir dazu beitragen, daß dieses Bewußtsein im Norden verbreitet wird, denn nur mit der aktiven Teilnahme der Bevölkerung der nördlichen Länder ist es möglich, dieses globale System der Zerstörung und des Todes zu verändern.

b) Multinationale Konzerne und das transnationale Kapital:

Von den 100 größten Wirtschaftsunternehmen der Welt gehören 51 multinationalen Konzernen. Dank der Liberalisierung des Markts, der Deregulierung und der Privatisierung üben die Multis heute eine beispiellose Kontrolle über die Weltwirtschaft aus. Das Resultat: Ihre Interessen haben einen entscheidenden Einfluß auf alle Ebenen der Politik und speziell auf die globale Ebene. Mit Hilfe von Lobby-Gruppen wie dem World Economic Forum (WEF), der Internationalen Handelskammer (ICC) und dem Europäischen Runden Tisch der Industriellen (ERT) verteidigen sie ihre Interessen in den sich überschneidenden Sektoren der Politik. Sie begnügen sich nicht mit den Sektoren, die sie schon immer beherrscht haben (wie Handel oder Investitionen), sie greifen jetzt auch in Sektoren wie Landwirtschaft, Erziehung und Gesundheit ein, auf die sie bisher wenig Einfluß hatten.

Das transnationale Kapital hat nicht nur zerstörerische Auswirkungen auf die Naturvölker, welche es direkt ausbeutet. Das weltweite Finanzcasino, das von den Multis zur Steigerung ihrer Profite entwickelt wurde, hat während der ersten globalen Finanzkrise in Rußland, Lateinamerika und Asien sein zerstörerisches Potential entfaltet. Die Instabilität dieser globalen Finanz-Seifenblase, die jeden Augenblick platzen kann, läßt die Krise von 1929 wie ein Bagatelle erscheinen. Anstatt Strategien zu entwickeln, um diese schreckliche Wirtschafts-Zeitbombe zu stoppen, bereiten die multinationalen Konzerne (unterstützt durch gewisse Regierungen) weitere Abkommen vor, die ihre Rechte und Privilegien stärken und alles, was gegen das globale Finanzkasino läuft, zu verhindern trachten. Ein solches Abkommen (das TRIMS) ist bereits im WTO- Vertrag enthalten. Ein Versuch, die OECD zur Unterzeichnung einer verstärkten Version des WTO-Vertrags (zum berühmten Multilateralen Investitionsabkommen MAI) zu bewegen, ist fürs Erste gescheitert. Jetzt soll dieses Abkommen innerhalb der WTO integriert werden. Durch unseren Besuch möchten wir dazu beitragen, den europäischen Widerstand gegen diese zerstörerische Politik zu verstärken. Wir hoffen, den EuropäerInnen die Gefahr bewußt zu machen, welche ein derartiges Abkommen für ihre wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Selbstbestimmung bedeutet.

c) Agrobusiness, Grüne Revolution, Biotechnologie, Patente auf Leben

Die Liberalisierung des Markts und die neuen Landwirtschafts-Technologien haben in der ganzen Welt Konkurse von Kleinbauern und die Zerstörung von kultureller und biologischer Vielfalt ausgelöst. Die Strategien und Technologien, die von Institutionen wie der FAO (Food and Agriculture Organisation) und der Weltbank erfunden wurden, haben Millionen von Bauern vertrieben. Ihr Land gehört nun multinationalen Konzernen und Großgrundbesitzern. Diese Bauern finden Zuflucht in den Barackensiedlungen der Großstädte. Sie leben unter unmenschlichen Bedingungen. Im Norden nimmt die Zersetzung der ländlichen Gebiete andere Formen an. Die Liberalisierung des Handels zerstört ebenfalls die Existenzgrundlage von Millionen von Kleinbauern. Die Einführung von Genmanipulation in der Produktion von Lebensmitteln wird die Kontrolle über unsere Ernährung in die Hände des Agrobusiness legen, mit allen damit verbundenen Problemen: ökologischen Katastrophen, Gefährdung unserer Gesundheit, Verarmung der Bauern. Die Multis werden Privatbesitzer von allen Mikroorganismen, Pflanzensorten, Tierarten und menschlichen Gen-Komponenten, die Aussichten auf Profit versprechen. Die genetische Manipulation und die Patente auf Leben gehören zu den größten Gefahren, denen sich die Menschheit je ausgesetzt sah, da sie der biotechnischen Industrie eine beispiellose Kontrolle über unser Leben geben.

Ein Punkt unserer Kampagne besteht darin, die städtische Bevölkerung auf die Probleme der Landbevölkerung aufmerksam zu machen. Wir wollen ihnen verständlich machen, daß die Einführung der Genmanipulation in der Landwirtschaft und die Patentierung des Lebens nicht nur zum Aussterben der Kleinbauern, sondern auch zu irreversiblen Veränderungen des globalen Ökosystems führt und ein Ungleichgewicht der Macht in der Gesellschaft zementiert und vergrößert. Das Recht des Eigentums auf Leben ist eine neue Art der Macht. Die Gentechnik wird sich auf die Zukunft des ganzen Planeten auswirken.

Es ist nicht zu spät, um das Massaker aufzuhalten. Aber dazu müssen wir das von der WTO erfundene System der multilateralen Handelsabkommen aufheben. Mehrere dieser Abkommen haben die Einführung von Gen- technologie in der Landwirtschaft und die Verankerung der Patentierung von Leben in der Gesetzgebung von Staaten ermöglicht. Wir müssen auch die gewaltlosen, direkten Aktionen gegen die Biotech-Multis (Monsanto, Novartis, AgrEvo etc.) verstärken.

d) Die «Verschuldung» der Länder des Trikonts

Die aktuelle Weltordnung wurde zu einem großen Teil durch die neoliberale Politik ermöglicht. Es ist diese Politik, die den verarmten Ländern «Schulden» aufgedrängt hat. Die «Schuldenkrise», die von der Korruption und der Verantwortungslosigkeit sowohl der nördlichen, wie auch der südlichen Elite verursacht wurde, hatte folgende Konsequenzen: Den Transfer von Milliarden von Dollars von den Ärmsten der Armen an die reichste Elite. Die extreme Ausbeutung der Natur und der Menschen zugunsten von billigen Exporten für reiche KonsumentInnen. Die Verhinderung von Bestrebungen, die die Abhängigkeit der südlichen Länder von den ehemaligen Kolonialstaaten aufheben wollen.

Wir haben genug von dieser Gaunerei. Mit unserer Präsenz in Europa wollen wir die dafür verantwortlichen Institutionen genauso anklagen (Weltbank, Internationaler Währungsfonds (IWF), internationale Handelsbanken) wie die Regierungen der G8, die sich die «Krise» zu ihren persönlichen Vorteilen gestalten, aber auch die Regierungen des Südens, die sich zu Komplizen dieser historischen Gaunerei machen lassen, indem sie Schulden und Schuldzinsen bezahlen. Wir wollen keine Schuldentilgung oder Neuverhandlungen; wir wollen, daß die Regierungen des Südens den von der G7 und den Bretton-Woods-Institutionen errichteten Regeln nicht Gehorsam leisten. Wir wollen, daß sie aufhören, sich an der kriminellen Enteignung, die als «Rückzahlung der Schulden» getarnt ist, zu beteiligen. Wir hoffen, die Unterstützung der europäischen Bevölkerung zu erhalten, in deren Namen die Regierungen der G8 mehr als die Hälfte der Menschheit ausbeutet.

e) Militarismus und die nukleare Bedrohung

Die aktuelle Weltordnung würde sich nicht lange halten können ohne die globale Repressionsmaschinerie, die sie unterstützt. Die militärische Vorherrschaft durch die NATO verschafft den westlichen Mächten (allen voran den USA) die Möglichkeit, ihre globale Herrschaft durchzusetzen für den Fall, daß sich ein Land dem vorgesehenen Entwicklungsprogramm widersetzen und eine Alternative suchen sollte. Meistens ist es jedoch gar nicht nötig, die NATO einzusetzen, da die nationalen Repressionsinstrumente (Polizei, Militär, paramilitärische Gruppen) ebenso gut funktionieren, um lokale Bestrebungen für eine Veränderung zu unterbinden; sie sind billiger als internationale Militäreinsätze, und ebenso leicht durch die weltweiten Machtzentren zu kontrollieren. Beispiele dafür sind der langsame Völkermord an der indigenen Bevölkerung in Chiapas durch die mexikanische Armee, die ungestraften Operationen von paramilitärischen Gruppen in Kolumbien etc.

Der einzige Weg, diese Todesmaschinerie zu stoppen, ist die schrittweise Reduzierung des Gewaltniveaus. Wir wenden deshalb die Techniken des zivilen Ungehorsams und der direkten gewaltlosen Aktionen an, die auch von Peoples' Global Action als wirkungsvollste Strategien vertreten werden.

Ein besonders unheilvoller Teil des militärischen Deliriums in diesem Jahrhundert ist die Atomindustrie. Sowohl die militärische wie auch die sogenannt «zivile» Nutzung der Atomkraft bleiben eine der wichtigsten Bedrohungen für die jetzige und die zukünftigen Generationen. Die einzige Lösung ist die Abschaffung aller nuklearen Installationen, Forschungszentren und Arsenale im Norden wie im Süden. Während unseres Besuchs in Europa werden wir das Nuklearprogramm des Südens verurteilen (speziell die Atomtests in Indien und Pakistan), wir werden aber auch die Heuchelei von nördlichen PolitikerInnen und Medien denunzieren, die mit starken Worten über die Atomprogramme anderer Länder herziehen und dabei ihren eigenen (und ver- gleichsweise viel größeren) Beitrag zu diesem weltweiten Problem vergessen.




In den letzten Monaten haben die herrschenden Eliten signalisiert, daß auch sie sich über die Instabilität des Systems zu beunruhigen beginnen. Anzeichen davon ist der Wechsel in der Strategie der Weltbank zum «Keynesianismus» und die Tatsache, daß sich in den meisten europäischen Ländern neo-sozialdemokratische Regierungen gebildet haben. Dies könnte uns glauben machen, daß wir aus dem neoliberalen Zeitalter heraustreten und in die richtige Richtung steuern, doch tatsächlich heißt es nichts weiter als die Fortsetzung der gleichen Politik in anderer Form. Diese Reformen bewirken keine Veränderung in Bezug auf die Ballung von wirtschaftlicher, politischer und technologischer Macht, in welcher all unsere Probleme wurzeln – im Gegenteil, sie haben die Tendenz, diese Mechanismen zu verstärken.

Es versteht sich, daß die Ziele unseres Besuchs in Europa nicht kurzfristig verwirklicht werden können; denn ein solches politisches Programm kann nicht von außen oder von oben eingepflanzt werden, es kann nur durch eine breite Bevölkerung umgesetzt werden. Das ist der Hauptgrund, warum wir keine Energie darauf verschwenden, bei PolitikerInnen oder VertreterInnen von Multis Lobbyarbeit zu betreiben. Nicht nur, daß unsere Anstrengungen völlig vergeblich wären, sie wären auch kontraproduktiv. Wir würden Gefahr laufen, die Institutionen, die wir zu reformieren versuchen, zu legitimieren. Schlimmer noch: Lobbyarbeit kann dazu führen, daß Organisationen, die den Anspruch erheben, einen Teil der «Zivilgesellschaft» zu vertreten, instrumentalisiert werden – die Multis und Institutionen können sagen, daß ihre Abkommen und Strategien in einem «demokratischen» Prozeß mit allen sozialen Sektoren erarbeitet worden seien. Als Beispiel für eine solche Symbiose zwischen Institutionen und den Möchtegern-Repräsentanten der sogenannten «Zivilgesell- schaft» ist die Sozialklausel zu erwähnen, die in die WTO-Abkommen integriert werden soll. Diese Klausel soll in allen WTO-Mitgliedsstaaten minimale Arbeitsbedingungen garantieren, eine Nichteinhaltung führt zu Sanktionen. Tatsächlich bedeutet aber die Anwendung dieser Klausel, daß der Norden ein perfektes Instrument für einen selektiven Protektionismus in die Hände bekommt. Gleichzeitig würden die Ursachen zementiert und verstärkt, welche die Menschen dazu zwingen, unmenschliche Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.

Bei unserem Besuch in Europa wollen wir deutlich machen, welche Art der Veränderung wir mit unseren Kämpfen im Süden anstreben. Dies ist wichtig für uns, denn wir wissen, daß es im Norden bereits viele Organisationen gibt, die im Namen der «Armen aus der Dritten Welt» sprechen und die aber mehr ein Teil des Problems sind, als daß sie zu seiner Lösung beitragen.

Wir wollen kein Geld vom Westen, wir wollen auch keine westlichen Technologien oder «Experten», die uns ihr Entwicklungsmodell aufschwatzen. Wir lassen uns auch nicht als politisches Werkzeug mißbrauchen, um die Eliten um Reformen zu bitten, die wir nie verlangt haben. Wir wollen nur unsere Kraft organisieren und sie kombinieren mit der Kraft von anderen Bewegungen aus dem Norden und aus dem Süden, um die Kontrolle über unser Leben wiederzugewinnen.

Wir wollen keinen Platz am globalen Verhandlungstisch erobern, wir wollen auch keine blutige Revolution; wir sind nur daran, einen weiteren Schritt in dem langen Prozeß der Erschaffung einer anderen Welt zu gehen, einer Welt, die durch lokale Veränderungen global, durch die Veränderung der Wertvorstellungen und tägliche Wahl von Millionen von Menschen real werden wird. Wir teilen diese Vision mit unseren europäischen FreundInnen, die dieses Projekt verwirklichen helfen, Männer und Frauen, die an der Schaffung einer anderen Gesellschaft in ihrer Region arbeiten. Wir hoffen, daß unser Besuch dazu beiträgt, die Zahl der europäischen FreundInnen zu erhöhen, die sich diesem Ziel widmen. Das wäre das schönste Hoffnungszeichen, das wir auf eurem Kontinent finden könnten.