junge Welt, 29.05.1999

Bauernmarsch auf Köln zum G-8-Gipfel
Farmer aus Entwicklungsländern protestieren gegen Unterdrückung

Gerhard Klas, Berlin

Sie sind weit gereist. Etliche tausend Kilometer mit dem Flugzeug. Ihr Ziel: Europa. Hier werden sie mehrere Wochen unterwegs sein, von Hauptstadt zu Hauptstadt. Eigentlich wäre es den 500 Bauern und Landarbeitern der »Interkontinentalen Karawane« aus Indien, Brasilien, der Ukraine und Bangladesh lieber gewesen, sie hätten gar nicht kommen müssen. Aber die Situation in ihren Ländern läßt ihnen keine andere Wahl. Der Höhepunkt ihrer Europa-Tour wird der 19. Juni sein. Dann kommen in Köln die Staatschefs der sieben reichsten Industrienationen und der Präsident Rußlands im Museum Ludwig zum alljährlichen Gipfeltreffen zusammen.

Die Teilnehmer der »Interkontinentalen Karawane« machen die Regierungschefs für das Elend in ihren Ländern mitverantwortlich. Das größte Kontingent der Karawane stellt mit vierhundert Teilnehmern der indische Bauernverband KRRS (Karnataka Raiya Raita Sangha). Nach eigenen Angaben gehören ihm in Indien mehr als zehn Millionen Menschen an. Ziel der Europa-Tour sei es, dem »Norden zu vermitteln, wie der Süden das System der Ausbeutung« erlebt, das ihnen von den »Regierungen des Nordens, der Welthandelsorganisation und den multinationalen Konzernen« aufgezwungen wird. Die Kleinbauern sind »wütend über die Arroganz, mit der andere über ihr Leben bestimmen«. Wütend macht sie die Politik multinationaler Konzerne und besonders die des US-amerikanischen Biotechnologie-Konzerns Monsanto.

Ende des letzten Jahres startete KRRS eine Kampagne gegen den Multi. Unter dem Motto »Verbrennt Monsanto« besetzten mehrere tausend Aktivisten Versuchsfelder, die mit gentechnisch manipulierten Baumwollsträuchern bepflanzt waren. Der Konzern, der von sich behauptet, mit seinen Produkten die Ernährungslage in der Dritten Welt zu verbessern, hatte im vergangenen Jahr nicht nur gentechnisch manipuliertes Saatgut ausgesät. Er hat gleichzeitig mit Beteiligungen, An- und Aufkäufen von Saatgutfirmen in Indien diesen Markt weitgehend unter seine Kontrolle gebracht. Für Monsanto mag das eine Strategie sein, die Kleinbauern langfristig als Kundschaft an den Konzern zu binden. Die indischen Bauern fühlen sich jedoch von dieser Kombination aus gentechnischen Versuchen und Marktdominanz in ihrer Existenz bedroht. Saatgut-Experimente sollen nämlich nicht nur Resistenzen gegen Schädlinge entwickeln. Auch die Keimfähigkeit soll verhindert werden. Durch die gentechnisch unterdrückte Keimfähigkeit wären die Bauern gezwungen, jedes Jahr neues Saatgut zu kaufen.

Dabei ist die Landbevölkerung Südasiens ohnehin schon hochverschuldet. In Indien leben mehr als 60 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft, laut UN-Angaben müssen jedoch 52,5 Prozent mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze auskommen. Handelsliberalisierungen haben auch in Indien die Märkte für Billigprodukte aus dem Ausland geöffnet, mit denen die Kleinbauern nicht konkurrieren können. Verschuldung und Perspektivlosigkeit treiben viele Bauern in die Verzweiflung, sogar in den Selbstmord. Allein im Winter 1997/98 haben sich im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh mehr als 400 vom Baumwollanbau abhängige Kleinbauern das Leben genommen.

Einige Gruppen aus den Niederlanden, Spanien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland arbeiten mit an der Europa-Tour. Sie alle gehören wie die KRRS zur internationalen Koordinationsplattform PGA (Peoples Global Action), die neben vielen Bauernorganisationen auch andere soziale Bewegungen umfaßt. Auf dem Parkett der internationalen Politik ist PGA eine neue Erscheinung und zweifellos ein Versuch der Selbstorganisation der Opfer des neoliberalen Welthandels. Im Februar 1998 von über 300 Vertretern verschiedener Basisbewegungen aus allen Kontinenten in Genf gegründet, hat sich PGA zum Ziel gesetzt, den Widerstand gegen »Freihandel und die Welthandelsorganisation« weltweit zu koordinieren.

Seit mehr als einem Jahr bereitet PGA die »Interkontinentale Karawane« vor. Nicht ohne Schwierigkeiten. »Das politische und soziale Klima in Europa unterscheidet sich sehr von dem in den südlichen Ländern, Zynismus und Passivität sind weit verbreitet. Nur vereinzelt wird Kritik an der Weltordnung geübt«, resümiert ein Teilnehmer der Vorbereitungsgruppe die bisherigen Erfahrungen. Doch die indischen Kleinbauern lassen sich nicht beirren. »Im Süden ist die Dringlichkeit einer radikalen politischen Veränderung offensichtlich. Wir hoffen, daß dieses Projekt dazu beitragen wird, dieses Bewußtsein in der europäischen Öffentlichkeit zu verbreiten«, formuliert KRRS das Ziel seiner Europa-Tour, der sich auch an den Protesten gegen den kommenden EU-Gipfel beteiligen wird.